Nord-Süd-Gefälle

in:
Ziegel. Hamburger Jahrbuch für Literatur 12
Herausgegeben von Jürgen Abel und Wolfgang Schömel

Das Hamburger Jahrbuch für Literatur, inhaltlich und gestalterisch ohne Konkurrenz in Deutschland, ist in den Jahren seines Erscheinens immer erfolgreicher in seinem Qualitätsanspruch geworden. Als aufwändigste und umfangreichste lokale Anthologie des deutschen Sprachraums dokumentiert der Ziegel das literarische Leben Hamburgs. Spannende und bewegende Lesestrecken sind garantiert sowie ein tiefer Einblick in die Werkstätten der Hamburger Wortkünstler.
Unter dem Motto »Wie was so ist« hat das Literaturjahrbuch »Hamburger Ziegel« für seine 12. Ausgabe die sich verändernden Verhältnisse in unserer Zeit ins Zentrum gerückt, ob in der kleinen Heimat St. Pauli, in südlichen Ländern oder bei der Erkundung des Nord-Süd-Gefälles. 50 Autoren, Fotografen und Bildende Künstler laden in Kurzgeschichten, Romanauszügen, Gedichten, Essays und Illustrationen zu einer so unterhaltenden wie tiefsinnigen Entdeckungsreise ein.

Dölling und Galitz Verlag 2010
ISBN: 978-3-937904-90-0, 14,80 Euro

 
 

 
  Liederlich!
Die lüsterne Lyrik der Deutschen

Ein Buch, das in keinem anständigen Haushalt fehlen darf!
Weder gelten die Deutschen als besonders feurige Liebhaber, noch die teutonische Dichtkunst als Hort besonders erfindungsreicher Liebes-Lyrik.
   
   
Doch halt: Auch die Dichterinnen und Dichter deutscher Zunge sind von dieser Welt und stehen mit beiden Versfüßen fest auf irdischem Boden. Und wenn es sein muss (und es muss anscheinend ziemlich oft sein), lassen sie sich hemmungslos gehen - die Ergebnisse sind, milde gesagt, erstaunlich.
Das zeigt ganz unzweideutig die vorliegende Anthologie.

Steffen Jacobs hat sich über die gereimte Bückware vergangener Zeiten gebeugt und zudem zeitgenössische Kollegen überredet, ihre Geheimschubladen zu öffnen. Alles, was unsere Deutschlehrer immer vor uns verstecken wollten - hier ist es versammelt, kompromittierend komponiert und mit einem praktischen Register der besungenen Sexualpraktiken versehen.

Von Goethe bis Gernhardt, von Rilke bis Rühmkorf, von Pfeffel bis Politicky, mit Erstveröffentlichungen von Günter Kunert, Gerhard Rühm und Regula Venske
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– entstanden ist ein Buch, das in keinem anständigen Haushalt fehlen sollte: Zu bewundern sind Klassiker in ungewohnten Posituren, Seit an Seit mit den entfesseltsten Poemen unserer Tage. Und über allem leuchtet der alte Spruch des Terenz: Nichts Menschliches ist mir fremd.

Mit Gedichten von Hoffmannswaldau, Goethe, Humboldt, Schlegel, Rückert, Lasker-Schüler, Brecht, Gernhardt, uva.

Von Steffen Jacobs (Hrsg.), Eichborn 2008, ISBN 978-3-821858159, Preis 14,95 €



Schnarchen für Godot

in:
Beckett Pause. Minidramen
hrsg. von Lucas Cejpek

Der vorliegende Band ist anlässlich des 101. Geburtstags von Samuel Beckett erschienen. Lucas Cejpek lud insgesamt 67 Autor/inn/en unterschiedlichster Provenienz ein, Minidramen zu, für oder nach Beckett bzw. auch unabhängig von ihm zu verfassen.
Formal spannend ist dieses Buch in der Tat, spiegelt es doch Verfahren wider, die jenes Sprunghafte, Sperrige, Reduktionistische enthalten, das auch beispielgebend für die Arbeit des Dichters war und ist.
Die Dialoge (Die Auflage war: Minidramen – für 2 Personen – zu verfassen, deren Ausmaß 2 Seiten Umfang nicht überschreiten sollte) zwingen die Leserin, den Leser, sie wieder und wieder zu lesen bzw. sich nochmals in Erinnerung zu rufen: Die wenigen Sätze, Fragmente, die Interpunktionen muten wie buchstäblich gewordene „Synapsen“ an.
Echohaft mitunter, schablonenhaft wirken die Dialoge, nicht selten reflektieren die wenigen Worte einen Leerlauf des Denkens, diese Endlosspirale der Stille und des Nichts.
Oder ein Kreisen tut sich auf, ein In-sich-Kreisen des Sprechens, dieses „zu-sich-selbst-“ oder „aneinander-vorbei-Sprechen“, das keine linearen Wort/Fort/bewegungen gestattet.
Was absehbar ist, sind Absprünge, Sprünge überhaupt, Deviationen.
Petra Ganglbauer

Sonderzahl 2007
ISBN 978-3-85449 267 2, 16,- €

 



Marthes Vision

Ein verblüffendes literarisches Spiel mit doppeltem Boden.
Regula Venske gelingt ein brillantes Stück Literatur, in dem sprachlicher Eigensinn, psychologisches Fingerspitzengefühl und eine alles andere als idyllische Landidylle mit der Erwartung des Lesers spielen. Es ist ein früher eiskalter Januarmorgen am Tag der Hochzeit ihrer Nachbarn, als Marthe Vogelsang erwacht. Wieder hat sie von einer Frau geträumt, die zum Bett eines schlafenden Mannes geht, die kalte Pistole in der Hand, abdrückt und wieder verschwindet. Marthe hat kein Gesicht gesehen, doch sie weiß instinktiv, dass dieser Alptraum geschehen wird. Marthe steht auf, kleidet sich an – macht sich auf einen Spaziergang um den See, versucht ihre Gedanken zu ordnen. Wie groß ist die Liebe zwischen der beherrschten, kühlen und so unabhängigen Dorothea und dem charmanten Frauenschwarm Beat wirklich? Was führt die leicht hysterische Amerikanerin Gretchen im Schilde, eine von Beats vielen Verflossenen, die Dorothea so unverschämt schöne Augen macht? Und was ist mit Gretchens merkwürdigem Bruder Martin, der mit seiner exaltierten Mutter Diane auf Einladung seiner Schwester die Tage bis zur Hochzeit in Hellersheim verbringt?

 

Unerbittlich macht Marthe die Gedanken der Hochzeitsgäste zu ihren eigenen, versetzt sich mit der List und der Lebenserfahrung einer reifen Frau in die Lage der anderen, sieht heraufziehende Gefahren – bis auf eine einzige, die wichtigste ...

Venskes neuer Roman ist nicht wirklich dem kriminalistischen Genre zuzuordnen, doch gleichwohl höchst spannend geschrieben: die Hauptperson Marthe Vogelsang ist eine alte Frau, die in einer einzigen Nacht Gedankenfäden spinnt. Ihre Träume und Erinnerungen verknüpfen sich mit der Vision eines bevorstehenden Mordes, der dann aber nicht passiert. Der lange Monolog mit Brüchen und Einblendungen lebt von den herrlich bösen Untertönen und ironischen Beobachtungen menschlicher Widersprüchlichkeiten. Ein suggestiver Roman mit überraschendem Ende.
Stefanie Oeding, Buchtipp des Monats Juni auf www.Flensburg.de

... ein ebenso vielschichtiges wie brillantes literarisches Werk. Rede und Gegenrede umkreisen eine einzige Figur. Zwischen Traum und Wirklichkeit entfaltet Regula Venske einen weiblichen Kosmos, verzichtet aber nicht auf ironisch-differenzierte Blicke auf das gegenüber liegende Geschlecht, auf die Welt der Männer also. Besucher können sicher sein, dass sie nach der Lesung ein klein wenig mehr wissen.
Frankfurter Neue Presse

Venske brilliert mit geschliffener Sprache und hinreißend lebensnah geschilderten Situationen.
Hamburger Abendblatt

Mit "Marthes Vision" gelingt Regula Venske die scheinbar mühelose Verknüpfung alles dessen, was sie sich bislang als Autorin erarbeitet hat. Facettenreiche präzise Beobachtungen, raffiniert verknüpfte Handlungsstränge, die dem Leser das Geschehen wie in einem Vexierspiegel vorführen, und nicht zuletzt subtile Charakterstudien zeigen Regula Venske im Vollbesitz ihrer schriftstellerischen Mittel.
Ulla Hahn

Ein exzellent geschriebener innerer Dialog, voller Perspektivenwechsel und gleichsam nebenher erledigter Lebensweisheiten. Wer eingestiegen ist in dieses Buch und sich der Beschleunigung ausgesetzt hat, kann nicht mehr abspringen – und wird, wenn er den raffinierten Schluß taumelnd ausgehalten hat, feststellen: Hier spricht nicht nur eine starke Frauenfigur, hier hat sich eine Autorin schreibend mit ihrer Phantasie auseinandergesetzt und ein Experiment mit sich selbst riskiert. Chapeau!
Gert Heidenreich

Wer kann das schon hierzulande: eine erzählerische Choreografie entwerfen, Perspektivwechsel, Brüche, Variationen eines starken zentralen Motivs, ein von langer Hand vorbereiteter und doch ganz und gar überraschender Schluss. Allein das: ein Roman mit einer Schlusspointe! Wie viele unserer Kollegen schleichen sich verlegen aus ihren Texten und kassieren auch noch Lob dafür. Und was für eine Pointe: kein oberflächlicher Gag, keine formale Auflösung von Handlungsrätseln, sondern tiefer Einblick in menschliche Widersprüchlichkeit: Marthe hat alles gewusst und nichts begriffen. Ich bin begeistert.
Sibylle Knauss

Sie schriebe "wie eine Engländerin" sagte die Autorin Sibylle Knauss über Regula Venske. Das ist wahr - und gleichzeitig die Crux dieser erfahrenen Hamburger Autorin, die trotz zahlreicher Kriminalromane, Jugendbücher, experimenteller Texte und Gedichte noch nicht genug wahrgenommen wird. Venske gehört zu einer Generation von Autorinnen, wie Keto von Waberer und eben Sibylle Knauss, die ebenso erotisch schreiben können wie Zerya Shalev, so vertrackt-verträumt wie Jeanette Winterson, so gebildet wie Fay Weldon - aber das nützt ihnen nichts. Sie sind nicht en vogue. Kein Fräuleinwunder weit und breit. Dafür wird, wer die Bücher von Regula Venske liest, eine Überraschung nach der anderen erleben, denn hier ist ein echter Profi am Werk. ... Mord und Totschlag, Ehebruch und Hysterie, Eifersucht und Neid - aber, und das ist der große Trick der wahrhaft durchtriebenen Autorin - alles geschieht nur in der Phantasie der bösen, alternden Erzählerin, alles ist nur "Marthes Vision". Oder womöglich doch nicht?

Es spricht für die Klugheit der Autorin, dass sie nicht nur ihre Leser, sondern auch ihre erzählende Hauptfigur am Ende ganz gewaltig aufs Glatteis führt. Am Ende von "Marthes Vision" stellt sich Verblüffung ein - und die Lust, es mit dieser fiesen Hochzeitsgesellschaft gleich noch einmal aufzunehmen.
Gabriela Jaskulla, NDR

Eichborn 2006
ISBN 3-8218-5783-8

 

 
 

Warum leben? Ein Lesebuch

Bern 2001

„Mir geht ein advertisement im Kopf herum, das ich für das kühnste und gelungenste Stück amerikanischer Reklame halte: Why live, if you can be buried for ten dollars?
(Sigmund Freud)

 
 

 
 

Warum heiraten?

Ein Lesebuch rund um die Ehe, mit Originalbeiträgen von Ingrid Noll, Eva Demski, Ulrich Greiner, Inge und Walter Jens, Anne Duden u. a.

Klein Verlag 1997, Piper 1999

„Auf jeden Fall so lange zusammenbleiben, bis es Spaß macht!“
(Andreas Wang)

 
 

 
 

Die alphabetische Autorin

LITERATURFÖRDERPREIS DER STADT HAMBURG 1995


Die alphabetische Autorin, die "... dem österreichischen Witz, dem abgründigen Charme im Umgang mit dem Material Sprache näher steht als der deutschen Ernsthaftigkeit und dem Willen zur strengen Form“ (Wend Kässens im NDR), beschreibt von A bis Z den Aufstieg einer Autorin und anschließend von Z bis A ihren Zerfall, und zwar so, dass im ersten Kapitel jedes Wort mit A beginnt, im zweiten dann Wörter mit B hinzukommen, bis im 26. Kapitel Wörter mit allen Anfangsbuchstaben möglich sind – und dann wieder bis zum Ende in abbauender Richtung.

Von Kapitel zu Kapitel gewinnt die titelgebende Autorin an Fleisch und Blut, an Leben, indem sich ihr sukzessiv der Zugang zum Alphabet öffnet. Ein raffiniertes, hintersinniges, gewitztes und intelligentes Stück Literatur, das mühelos Amüsement und literarische Strenge zu verbinden weiß: die Geschichte darüber, daß Bücher aus Wörtern bestehen, wurde selten so stimmig erzählt wie in dieser Hommage an Walter Abish von Regula Venske. (Buch CH)

"Venskes trickreiche Stilübung mit den Witzeinlagen aus dem Reich des Absurden löst spontanes Gelächter aus und regt an zum freien Spiel der Assoziationen. Die alphabetische Autorin frönt in erster Linie der Lust am Aufbau und Verfall der Sprache, folgt dem Kompositionsprinzip gewissenhaft und läßt doch in der formalen Strenge beschwingte Leichtigkeit walten ... Anmutige Autorin arbeitet astreine Aesthetik aus."
(Neue Zürcher Zeitung)

Literaturverlag Droschl, Graz 1997
ISBN 978-3-85420-450-3, 15,50 €

 

 

 

 
 

 
 

Pursuit of Happiness oder Die Verfolgung des Glücks

1. Pursuit ist das schöne Buch, an dem die Ich-Erzählerin in Ingeborg Bachmanns Roman „Malina" scheitert. Ein Liebesroman, zugleich eine Eulenspiegelei und Persiflage auf das Genre der Memoirenliteratur.

2.  Pursuit erklärt die Liebe an die Männer im allgemeinen und einige besondere Männer im besonderen sowie an die Freie und Hansestadt Hamburg, wie es einer freien und hanseatischen Autorin gebührt.

3.  Wir schreiben das Jahr 2046.
Im ersten Kapitel betreibt die einundneunzigjährige Autorin ihr allabendliches „Männchenzählen", das sie ihrem jungen Privatsekretär in die Feder diktiert; der Ehemann der Icherzählerin ist übrigens 101, die Liebe scheint beide unsterblich gemacht zu haben.
Im zweiten Kapitel wird, was die Liebe vernichtet, verdichtet.
Im dritten Kapitel werden die 576 Synonyme für Wang = am. Slang für Penis im ersten und einzigen Minnewang der Weltliteratur beschworen.

4. Pursuit widerlegt das abendländische Axiom, nach dem Literatur aus der Differenz zwischen Mangel und Erfüllung, zwischen Realität und Utopie entsteht. Desgleichen widerlegt Pursuit das Vorurteil, daß ein Minnewang die Abwesenheit des geliebten Objekts zur Voraussetzung habe.

5. Nachdem die Männer im Jahr 2046 bis auf wenige Überlebende fast ausgestorben sind, entwickelt Pursuit Kriterien, Kategorien und Theorien, um Männer (ein) zu schätzen, so eine Vokaltheorie oder die A- und W-Theorie; Pursuit erlaubt sich Schlenker und Exkurse/Exkursionen, um Geschichten zu erzählen: die Ali-Geschichte, die Obst-und-Gemüse-Geschichte, die Grüngolden-Hellblaubeige-Geschichte.

6.  Bis zur Seite 69 erinnert sich Pursuit allein (aber natürlich sind sie nicht allein) an rund einhundertundzwanzig Männer. Das sind mehr, als ein Mensch mit durchschnittlicher Lebenserwartung im Mittelalter überhaupt an Menschen kennenlernte. (Auch ein Fortschritt.)

Zum Beispiel werden gewürdigt:
Andreas Liebstergesell, Hamlet, Helmut Schmidt, Herr Dr. Windmann, Herr Dr. Wagenbach, Herr Dr. Witzbold, Michael Reichermann, Herbert Weichmann, John Watson, Helmut Kohl, der Scherbenstreuer von Mottenburg, mehr Polizisten, als mir lieb sind, Toni Gu und Tobi Go, ein pinkelnder französischer Geschäftsmann, Onkel Herbert, diverse Kellner in indischen und italienischen Restaurants, ein Hundehalter, ein Fahrrad-über-das-Eis-der-Alster-Träger, ein Heiratsanträger (A. W., natürlich), Herr Zui, Herr Jiang und Herr Lu, Herr Riffel und Herr Stenzel, Herr Benedikt Erenz, der Heilige Arsénios und der Heilige Januarius, Wend Kässens, Wolfgang Hegewald, ein Pfarrer, Herr Rute und andere Taxifahrer, Willi das Rübenschwein, ein Richter am Amtsgericht, Professoren, Studenten, zwei Schwiegerväter, Günter Grass, der ungläubige und andere Thomasse (? reimt sich auf Rohmasse), Götz von Berlichingen, Jobst Obst, ein blonder Lockenschopf (Ecki), Tristram Shandy, zwei Systemtheoretiker, davon der eine Niklas Luhmann, ein Bleistiftbenutzer (A. W., natürlich), der Recke Siegfried, René Kollo, Leonard Bernstein, Herr Reich-Ranicki, Fahrkartenkontrolleure in Hamburg, Frankfurt/Main und Berlin/DDR, Rudi K., Herr Walser und Herr Weiss (zwei Bankangestellte), ein Personalberater, ein großer und ein kleiner Verleger, Josef und die Hirten im Felde, italienische und französische Touristen an der Alster, hanseatische Dauerläufer, ein einarmiger Londoner Blumenmann, Adam im Paradies, Felix im Paradies, ein Flieger, ein Künstler und andere mehr.

7. Pursuit ist größenwahnsinnig, die Autorin erlaubt sich Lust (am Mann) und beschwört keine Fiktion, sondern Realität

Europäische Verlagsanstalt 1993